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Paraschat “REʻEH“ Empfehlung

06. August 2023 geschrieben von   Channa Rachel Freigegeben in Re'e

ב"ה

Paraschat “REʻEH“ 

aus: Belebende Parascha 
Thora-Deutungen des Lubawitscher Rebben für die Gegenwart 
von Rabbiner Benjamin Sufiev 
Band II 

DAS BÖSE UND SEIN SINN 

Unser Wochenabschnitt beginnt mit einem der wichtigsten Glaubensgrundsätzen des 
Judentums - die freie Wahl. G‘tt richtet sich an das jüdische Volk und sagt: Siehe, Ich gebe 
euch heute Segen und Fluch. Den Segen, wenn ihr auf die Mitzwot G‘ttes hört; und den 
Fluch, wenn ihr nicht auf die Mitzwot G‘ttes hört (Dewarim 11:26-28). 

Die Wahl einiger Ausdrücke in diesem Vers ist seltsam. Das Wort „Ich gebe euch“ - 
steht für gewöhnlich im Zusammenhang mit sehr besonderem Segen. Ein Beispiel dafür 
sind die Zehn Gebote, die mit Ich bin G‘tt, Dein G‘tt (Dewarim 5:6) beginnen. Auch das
Wort „gebe“ wird mit Segen in Verbindung gebracht, wie im Talmud steht: „Wenn man gibt,
gibt man mit Großzügigkeit (Talmud Bawa Batra 53a). Wie können deshalb diese
Ausdrücke, die mit Segen und Überfluss zu tun haben, in Verbindung mit Segen und Fluch
gebracht werden? Wie ist es möglich, dass von „Ich“ Fluch kommt und wie kann der Fluch
als ein „Geschenk“ gelten, das G‘tt uns „gibt“?

Ein Fehler in der Schöpfung?

Um dies zu verstehen, müssen wir ein wenig dem Sinn von Fluch und Segen auf den
Grund gehen, oder in anderen Worten: dem Sinn von Gut und Böse auf der Welt. Nicht nur
einmal fragen wir uns, angesichts der ständigen Konfrontation zwischen Gut und Böse,
wozu G‘tt überhaupt das Böse erschaffen hat. Wozu erschuf Er eine Existenz, die im
Widerspruch zum Guten steht, es ständig bekämpft und uns andauernd dabei behindert,
das Richtige zu tun?

Die Antwort lautet: Das Böse existiert nur, um eine freie Wahl zu ermöglichen! Gäbe es
auf der Welt nur Gutes und würde der Mensch keinerlei Neigungen für das Schlechte
besitzen und keine Möglichkeiten haben, Böses zu tun, hätte er zwar nur das Gute getan,
aber nicht aus freier Wahl, sondern weil es keine andere Option gäbe. Um freien Willen zu
ermöglichen, muss es zwei Wege geben, gut und schlecht, und sobald dann der Mensch
sich für den richtigen Weg entscheidet, tat er dies aus freier Wahl.

Von großem Wert

Die freie Wahl ist für den Menschen von enormer Wichtigkeit. Sie gehört zu seinen
einzigartigen Besonderheiten. Alle anderen Geschöpfe auf der Welt besitzen keine freie
Wahl. Sie handeln anhand ihrer angeborenen Triebe und ihrer Instinkte. Das einzige
Geschöpf in dieser Welt (aber auch in den spirituellen Welten, denn sogar die Engel haben
keine freie Wahl), das die Fähigkeit der freien Wahl hat, ist der Mensch.
Auf der freien Wahl basiert auch das Prinzip von Belohnung und Strafe. Ohne eine
freie Wahl gibt es keinen Grund für Belohnung und keine Rechtfertigung für Strafe. Tiere
bekommen keine Belohnung für ihre „guten“ Taten und werden für ihre „schlechten“ Taten
nicht bestraft, weil sie nicht aus freier Wahl handeln. Nur der Mensch verdient Belohnung
für seine guten Taten und Strafe für seine Missetaten, weil es sein Verhalten bzw. seine
Entscheidung war.

Das Böse - ein Segen

Die Existenz des Bösen ist also nicht etwas Schlechtes für den Menschen, sondern ganz
im Gegenteil - sie ist der allergrößte Segen G‘ttes, da sie ihn zur freien Wahl befähigt. Nur
durch das Böse hat er die Möglichkeit oder Wahl. (Und sollte er sich dennoch für das Böse
entscheiden, missbraucht er seine freie Wahl.)

Deshalb benutzt die Thora, wenn sie vom Bösen spricht, die Ausdrücke „Ich“ und
„gebe“. Sie deutet uns damit an, dass das Böse nicht dazu erschaffen wurde, uns beim
Ausüben von Mitzwot und guten Taten in die Quere zu kommen, sondern die Existenz des
Bösen ist zu unserem Besten, damit wir uns aus eigenen Kräften (denn so drückt sich freie
Wahl aus) das Richtige tun können.

Schon allein diese Erkenntnis gibt uns die Kraft, sich vom Bösen (auch ausgedrückt
durch Hindernisse und Schwierigkeiten beim Erfüllen der Mitzwot und guten Taten) nicht
einschüchtern zu lassen. Denn seine ganze Existenz und sein ganzer Sinn liegen doch nur
darin, dass wir das Richtige aus freier Wahl tun können. Somit hat das Böse, wie groß und
unüberwindbar es auch scheinen mag, gar keinen Sinn an sich, sondern ist nur Mittel zum
Zweck, um uns die freie Wahl zu ermöglichen!

(Likutej Sichot, Band 4, Seite 1339)