Paraschat „PINCHAS“ פנחס
aus: „Studien zu den wöchentlichen Torah-Vorlesungen“, Nechama Leibowitz
„Mosches Nachfolge“
Im Mischnatraktat Awot 2:17 heißt es: „Arbeite an dir, Torah zu lernen, denn sie wird dir
nicht erblich überlassen.“ Und im Talmudtraktat Nedarim 81a wird gefragt, weshalb sich
die Torahgelehrten nicht dadurch auszeichnen, dass in besonderem Masse Gelehrte unter
ihren Söhnen sind. Auch hier erklärt R. Josef: „Damit sie (gemeint sind wohl die Leute des
Volkes) nicht sagen: Die Torah ist ihr Erbstück.“
Ebensowenig haben die Söhne Mosches seine Größe und sein Amt (oder irgendein
anderes) geerbt. Bei Mosches Gebet um die gʻttliche Ernennung eines Mannes als Haupt
der Gemeinde, „der vor ihnen ausziehen und vor ihnen einhergehen soll und der sie
herausnimmt und der sie hineinbringt“ (Bamidbar 27:16-17) klingt keinerlei Bitterkeit an
über das ihm vorenthaltene Betreten des Landes, dem sein ganzes Streben galt, und kein
Bitten um eine Berücksichtigung seiner Söhne bei der Ernennung. Das Einzige, was ihm
am Herzen liegt: „Gʻttes Gemeinschaft soll nicht sein wie Kleinvieh ohne einen
Hirt.“ (27:17)
... zu Mosches Formulierung „der vor ihnen ausziehen und vor ihnen einhergehen soll
und der sie herausnimmt und der sie hineinbringt“ wird im Midrasch Rabba 21:15 ein
Gleichnis gebracht: Ein König verliebte sich in eine Waise und ließ sie anfragen, ob sie ihn
heiraten würde. Sie antwortete ihm: „Ich bin es nicht wert, einen König zu heiraten.“ Sieben
Mal sandte er erfolglos Boten zu ihr hin, bis sie schließlich einwilligte. Nach einer Weile
zürnte ihr aber der König und wollte sich von ihr scheiden lassen. Darauf sagte ihm die
Frau: „Ich wollte dich nicht heiraten, du wolltest mich. Wenn du nun verfügst, dass wir uns
scheiden sollen und du eine andere nimmst, verfahre mit dieser nicht so, wie mit mir!“
Rabbi Schmuel bar Nachmani vergleicht dies mit der Beziehung Gʻttes zu Mosche.
Sieben Tag lang umwarb ihn Gʻtt, dass er sich zu Seinem Gesandten ernennen lasse, und
immer wieder wies er das Amt zurück (Schmot 4:10; 4:13) Dann willigte Mosche ein und
vollführte Wunder, die Gʻtt ihm zu tun eingegeben hatte. Am Ende erklärte Gʻtt ihm und
Aharon, sie würden das Volk nicht ins Land führen dürfen (Bamidbar 20:12).
Nun sagte Mosche zu Gʻtt, Er dürfe demjenigen, den Er an seine Stelle setze, nicht
dasselbe antun. Deshalb sagte er zu Gʻtt, Er solle einen ernennen, der „sie herausnimmt
und der sie hineinbringt...
Wenn wir betrachten, wie Mosche die Autorisierung des von Gʻtt Erwählten vornimmt,
erkennen wir, dass er Gʻttes Forderung nicht nur erfüllt, sondern sogar noch eigene
Empathie hineinlegt. Gʻtt befiehlt Mosche, zum Zeichen der Autorisierung folgenden Akt
öffentlich zu vollziehen: “Stütz deine Hand auf ihn!“ (27.18) Mosche aber „stützte seine
Hände auf ihn“ (27:23). Raschi hebt, wie schon die Gelehrten vor ihm, hervor, Mosche
habe aus „schönem Auge“ (vollem Einverständnis) heraus gehandelt, und deshalb nicht nur
eine Hand, sondern beide Hände auf seinen Schüler und designierten Nachfolger Joschua
gelegt.
Allerdings steht nicht, dass Mosche auch Gʻttes Befehl „und gebe deine Würde auf
ihn“ (27:20) gegenüber Joschua ausgeführt hätte, und eine solche Unterlassung würde
dem von Raschi Gesagten widersprechen. Doch so verhält es sich nicht. Der italienische
Gelehrte Jitzchak Schmuel Reggio (1784-1855) hat hierzu eine schöne Erklärung
geschrieben. Das was hier mit „Würde“ beschrieben ist, den Sinn fürs Regieren, hat
Joschua durch den feierlichen Akt Mosches bekommen, ebenso wie den fürs Regieren
notwendigen Respekt des Volkes, das dieser Designierung beiwohnte.
Die „Adelung des Geiste“ zu übertragen ist jedoch nicht Sache des Menschen. Dies hat Gʻtt
im Moment der Designierung Joschuas durch Mosche vollzogen. Mosches Größe liegt
dabei in der zustimmenden Haltung, frei von Neid und jeder familiären Ambition.