Wochenabschnitt Wajera, Mitzwot

05. April 2012 geschrieben von   Freigegeben in Paraschat Ha Schawua Mitzwot

ב"ה

BB"M 5771

 

Bereschit 18,1-22,24

Haftara: II. Mlachim 4,1-4,37

 

 

וַיֹּאמַר אֲדֹנָי אִם-נָא מָצָאתִי חֵן בְּעֵינֶיךָ אַל-נָא תַעֲבֹר מֵעַל עַבְדֶּךָ:

"und er sprach: Herr, wenn ich bitte Gunst gefunden habe in Deinen Augen,

so gehe doch nicht an Deinem Knechte vorüber!"

Bereschit 18,3

«Die Gastfreundschaft ist größer als die Begrüßung der SCHECHINA«

bSchabbat 127a

Im Buch Bereschit sind auf den ersten Blick nur einige Mitzwot notiert: "Seid fruchtbar und mehret euch", die sieben noachidischen Gesetze, der Bund der Beschneidung und das Verbot die Spannader zu essen. Doch lehren die Weisen Israels, dass die Erzväter durch ihre prophetische Gabe alle 613 Gebote erfüllten, obwohl die Offenbarung am Sinai erst 400 Jahre nach der Geburt Jizchaks Awinu geschehen sollte und noch mal 40 Jahre hinzugerechnet werden müssen, in deren Verlauf die Mitzwot schrittweise eingeführt und gelehrt wurden. So heißt es in der Mischna[1] und der Tosefta:

«(Bereschit 24,1) "Und Abraham war alt, wohlbetagt, und der Ewige hatte Abraham gesegnet in allem." Wir finden, dass Abraham Awinu die ganze Thora erfüllte, obwohl sie noch nicht gegeben war, weil es heißt (dort 26,5): "weil Abraham auf Meine Stimme hörte und beobachtet hat Meine Vorschriften, Meine Gebote, Meine Satzungen und Meine Thorot." Es heißt nicht meine Thora (sing.) sondern meine Thorot (pl.), was lehrt, dass ihm alle Feinheiten der Auslegung und Ausführung offenbart wurden.»

Raschi lehrt zu Bereschit 32,5 "Bei Laban habe ich gewohnt גרתי", dass גרתי die Gematria תרי"ג613 hat, was darauf hinweist, dass Jakow Awinu alle Gebote erfüllte.

Der Talmud[2] überliefert die Lehre von Rabbi Simlai[3] an, der als erster die Zahl der Mitzwot mit 613 angibt: «Rabbi Simlai lehrte: 613 Mitzwot wurde Mosche gesagt - 365 negative, entsprechend der Zahl der Tage des Sonnenjahres, und 248 positive, entsprechend der Zahl der Körperteile des Menschen. Raw Hamnuna sagte: Wo finden wir das in der Schrift [wo findet man in der Thora einen Hinweis darauf] ? תורה צוה לנו משה מורשה (Dwarim 33,4) "Thora gebot uns Mosche usw.", die Gematria von תורה ist 611, die Gebote "Ich bin" und "Du sollst keine anderen" hörten wir unmittelbar aus dem Mund des Ewigen.»

Tatsächlich hat der CHUMASCH (die fünf Bücher Mose) weit mehr Mitzwot, die man alle erfüllen muss, doch gab es lange Zeit keinen Bedarf, daraus eine Liste zu machen. Erst nach der Zerstörung des II. Tempels scheint es notwendig geworden zu sein, eine klare Übersicht der Mitzwot zu sammeln und zu ordnen. Rabbi Simlai hat eine vollkommene Antwort gefunden: Die Liste ist doch die Thora selbst, deren Gematria 611 beträgt zuzüglich der zwei ersten Gebote des Dekalogs. Der Midrasch lehrt[4], dass die ersten zwei Mitzwot des Dekalogs die Kinder Israel mit eigenen Ohren hörten, danach aber baten sie Mosche Rabbenu, er möge ihnen die restlichen Mitzwot überliefern (Schemot 20,17). Somit sind es 613 Mitzwot, die wir am Sinai erhielten und alle anderen Mitzwot sind beinhaltet und eingeordnet in dieser Gesamtheit.

In der Parascha Wajera ist vor allem die Gastfreundschaft als Mitzwa deutlich erkennbar, deren Befolgung Abraham Awinu besonders am Herzen lag und zu deren Erfüllung er sein gesamtes Arbeitsleben widmete. Die Tradition verknüpft GMILUT CHASSADIM, Liebewerke, entsprechend mit seinem Namen.[5] Durch sein Nachsinnen über die Werke G-ttes fand Abraham heraus, dass HASCHEM der Ort der Schöpfung ist, die Er gebaut hat und dass der Mensch ein Beisasse bei Ihm ist, wie es heißt (Tehillim 90,1): "Ewiger, Du bist unsere Wohnung gewesen von Geschlecht zu Geschlecht."[6] Darum hatte Abraham die Güte des Ewigen, g.s.E., Sein CHESSED,  als primere schöpferische Kraft erkannt und entschied sich, dieser Eigenschaft des Ewigen, g.s.E., nachzueifern - durch Gastfreundschaft.

Abraham hatte sich in Erfüllung des Bundes mit HASCHEM beschnitten, weigerte sich jedoch trotz Schmerzen von seinem Dienst auszuruhen. Der Ewige, g.s.E., ließ darauf hin eine große Hitze über das Land kommen, damit Abraham Awinu durch keine Wanderer beschwert werde. Als der Heilige, g.s.E., aber sah, dass Abraham nicht zurückweicht, sendete Er am dritten Tag nach der Beschneidung, da die Wundschmerzen am stärksten sind, drei Engel - Michael, Gabriel und Raphael. Der letztere heilte Abraham; Michael verkündete die gute Nachricht von der Geburt Jizchaks; Gabriel kam, um Sodom zu strafen. Diese sind die drei Nomaden, die Abraham Awinu in Bereschit 18 bewirtete. Das Mahl, das er zubereitete gilt in der Tradition als SEUDAT HAKODESCH, das heilige Mahl, dessen besondere Bedeutung an einer eigenen Stelle betrachtet werden soll.

Der Ewige, g.s.E., rechnete Abraham Awinu seine Bemühungen hoch an und hatte den Nachkommen Abrahams in Verdienst ihres Erzvaters unendlich mehr vergolten. Eine bemerkenswerte Gegenüberstellung finden wir im Talmud[7] und Midrasch[8]. Es heißt, dass alles was Abraham Awinu selbst machte, machte HASCHEM an Abrahams Nachkommen auch selbst; und alles, was durch seinen Beauftragten getan wurde, ließ HASCHEM durch Seinen Beauftragten tun:

                   Talmud

Talmud

Abraham

HASCHEM

Bereschit 18,7: "Und Abraham lief zu den Rindern und nahm ein Kalb, zart und gut, und gab es dem Knaben; und der beeilte sich, es zuzubereiten."

Bamidbar 11,31: "Und ein Wind fuhr von dem Ewigen aus und trieb Wachteln vom Meere herbei und warf sie auf das Lager usw."

Dort Vers 8: "Und er holte dicke und süße Milch und das Kalb"

Schemot 16,4: "Da sprach der Ewige zu Mosche: Siehe, Ich werde euch Brot vom Himmel regnen lassen usw."

Dort: ""und er stand vor ihnen unter dem Baume, und sie aßen."

Schemot 17,6: "Siehe, Ich will daselbst vor dir stehen auf dem Felsen am Horeb"

Dort Vers 16: "und Abraham ging mit ihnen, sie zu geleiten."

Schemot 13,21: "Und der Ewige zog vor ihnen her"

Bereschit 18,4: "Es werde doch ein wenig Wasser geholt"

Schemot 17,6: "und du sollst auf den Felsen schlagen, und es wird Wasser aus demselben herauskommen, dass das Volk trinke."

Midrasch

Midrasch

»Du sagtest (Bereschit 18,4): "und waschet eure die Füße"«

»Ich werde sie von alle ihrer Unreinheit reinwaschen, wie es heißt (Jeschajahu 4,4): "sobald der Herr den Unflat der Töchter Zions abgewaschen hat usw."«

»Du sagtest (dort): "und lagert euch unter dem Baume"«

»Ich gebe ihnen Sokka-Gebote (Nechemija 8,15): "Gehet hinaus auf das Gebirge und holet Zweige vom Olivenbaum und Zweige vom wilden Ölbaum und Myrtenzweige usw."

»Du sagtest (dort Vers 5): "Und ich will einen Bissen Brot holen"«

»Ich lasse euch Brot regnen (Schemot 16,4)«

» Du gabst ihnen dicke und süße Milch (dort Vers 8)«

»Ich will ihnen geben (Dwarim 32,14):

"geronnene Milch der Kühe und Milch der Schafe usw."«

Es lehrt Rabbi Jischmael[9], dass die drei Gaben Abrahams HASCHEM auch mit drei Gaben honorierte: Für Milch und Butter - das Man; dafür, dass er stand, während die Gäste saßen und aßen - die Wolkensäule; für das Wasser - den wundersamen Brunnen Mirjams.

Wir finden die Gastfreundschaft im SEFER MITZWOT GADOL[10] (SM"G), ein Werk, das z.B. SCHEL"A HAKADOSCH als Quelle diente. Dort wird sie unter die Mitzwa »auf Seinen Wegen zu wandeln« eingeordnet, wie es heißt (Dwarim 28,9): "Der Ewige wird dir als Seinem heiliges Volk ewigen Bestand geben, wie Er dir geschworen hat, da du die Gebote des Ewigen, deines G-ttes, beobachtest und auf Seinen Wegen wandelst". Den selben Gedanken finden wir in Dwarim 13,5, als Haupt vorangestellt in die Definition des Vollendeten G-ttesdienstes: "Dem Ewigen, eurem G-tt, sollt ihr nachfolgen und Ihn fürchten; und ihr sollt Seine Gebote beobachten und Seiner Stimme gehorchen und Ihm dienen und Ihm anhangen." In bSotah 14a »sagt Rabbi Chama im Namen des Rabbi Chanina: Warum steht geschrieben (Dwarim 13,5): "Dem Ewigen, euren G-tt, sollt ihr nachfolgen"? Ist es dem Menschen möglich der SCHECHINA zu folgen? Es steht ja bereits geschrieben (Dwaim 4,24): "Denn der Ewige, dein G-tt, ist ein verzehrendes Feuer usw." Gemeint ist, den Eigenschaften des Heiligen, g.s.E., zu folgen! Wie Er die Nackten kleidet, wie es heißt (Bereschit 3,21): "Und der Ewige G-tt machte Adam und seiner Frau Kleiderכתנות עור und bekleidete sie", so sollst auch du Nackte bekleiden; der Heilige, g.s.E., besuchte Kranke, wie es heißt (Bereschit 18,1): "Und es erschien ihm der Ewige bei den Terebinthen Mamres", so sollst du auch Kranke besuchen; der Heilige, g.s.E., tröstete Trauernde, wie es heißt (Bereschit 25,11): "Und es geschah nach dem Tode Abrahams, da segnete G-tt Jizchak, seinen Sohn usw.", so sollst du auch Trauernde trösten; wie der Heilige, g.s.E., Tote beerdigte, wie es heißt (Dwarim 34,6): "Und Er begrub ihn im Tale usw.", so sollst du auch Tote beerdigen. ... Rabbi Simlai lehrt: Thora - ihr Beginn sind Liebeswerke und ihre Vollendung sind Liebeswerke. Ihr Beginn: "Und der Ewige G-tt machte Adam und seiner Frau Kleiderכתנות עור  und bekleidete sie"; ihr Ende: " Und Er begrub ihn im Tale usw."«

Warum aber sagt der Talmud (siehe oben), dass die Gastfreundschaft größer wäre, als der Empfang der SCHECHINA? Im Traktat bSchwaut 35b ist eine MACHLOKET, ein Disput, überliefert, welche Namen G-ttes heilig sind, darunter der Namen אדני ADONAJ. Die diskutierte Frage ist, an wen Abraham Awinu sich wandte mit "אדניHerr, wenn ich bitte Gunst gefunden habe in Deinen Augen, so gehe doch nicht an Deinem Knechte vorüber"? Etliche Tannaim[11] waren der Meinung, dass alle Namen, mit denen Abraham G-tt nannte, heilig sind, außer diesem, doch zwei Tannaim - Rabbi Chananja Sohn des Bruders von Rabbi Jehoschua und Rabbi Elasar ben Asarja im Namen des Rabbi Elasar HaModai - meinten, dass Abraham im Vers den Heiligen, g.s.E., ansprach und darum soll dieser Namen heilig sein. Die Aussage, dass die Gastfreundschaft wichtiger sei, als der Empfang der SCHECHINA, gründet sich also auf dieser Auslegung der beiden Rabbis, deren Sicht bis auf den heutigen Tag gilt. Daraus folgt, dass Abraham HASCHEM zu warten bat, bis er die Gäste bediente.

Auch Rambam teilte diese Ansicht[12]. Bemerkenswert ist jedoch seine Meinung, dass die Begleitung der Gäste wichtiger sei, als alle anderen Pflichten der Gastfreundschaft[13]. In bSotah 46b lernen wir in diesem Zusammenhang: »Rabbi Jochanan im Namen von Rabbi Meir: Wer nicht begleitet oder sich nicht begleiten lässt, [gleicht] als würde er Blut vergießen.»

Die Pflichten der Gastfreundschaft finden wir zusammengefasst in Bereschit 21,33: וַיִּטַּע אֵשֶׁל בִּבְאֵר שָׁבַע וַיִּקְרָא-שָׁם בְּשֵׁם ה' אֵל עוֹלָם: "Und Abraham pflanzte eine Tamariske אשל zu Be'er Scheba und rief daselbst den Namen des Ewigen, des ewigen G-ttes, an." אש"ל ist ein Akronym von אכילה, שתיה, לוויה Essen, Trinken und Begleitung.

Man findet die Schabbatordnung nach dem selben Prinzip aufgebaut: Der G-ttesdienst beginnt mit KABBALAT SCHABBAT, einem besonderen liturgischen Teil vor Beginn des eigentlichen Erev Schabbat Dienstes. Damit wird die SCHECHINA als Braut empfangen, vollendet mit dem berühmten Lied LECHA DODI, Dir mein Geliebter. Nach dem Gebet folgt der KIDDUSCH, die Heiligung des Schabbats mit Wein und Brot, mit anschließendem Festmahl. Schabbatausgang feiert man als MELAWE MALKA, Begleitung der Königin, ebenfalls verbunden mit Gebet, Gesang und Festmahl.

Das fünfte Gebot des Dekalogs ist "Ehre Vater und Mutter". Auf welche Weise? Da dieses Gebot dem vierten nachfolgt - "Gedenke des Schabbattages" - soll man die Eltern auf dieselbe Weise ehren, wie Schabbat: Mit festlicher Kleidung empfangen, mit Freude, mit köstlichem Mahl und ehrenvollen Begleitung nach Hause.

Möge HASCHEM uns allen die Ehre erweisen, Elijahu HaNawi und den Maschiach ben David bald und in unseren Tagen zu empfangen!

[1] mKidduschin IV,14, Tosefta Kidduschin 5,14
[2] In bMakot 23b
[3] Rabbi Simali (etwa 205-260) war ein bedeutender Amoräer und Vertrauter von Jehuda HaNassi, dem Enkelsohn des Mischna-Verfassers. Rabbi Simlai war einer der schärfsten Kritiker der Nozrim.
[4] Mechilta Jithro, Paraschat Bachodesch 9
[5] bKetubot 8b
[6] siehe u.a. Bereschit Rabbar 68,9
[7] bBaba Metzia 86b
[8] Tanchuma Wajera 4
[9] dort
[10] Teil "MITZWOT ASSE", Mitzwa 7. Rabbi Mosche ben Jakow aus Coucy schrieb dieses Werk 1250, erstmals gedruckt 1488. Die kleinere Fassung heißt SEFER MITZWOT KATAN, verfasst von Rabbi Jizchak aus Korbil, und war im Volk sehr beliebt.
[11]תנאים Tannaim, Tanna (aram. Lehrer). Die Lehren der Tannaim bilden die Mischna, docj beschäftigten sie sich auch mit Borjta und Midrasch. Ihre Wirkungszeit ist die Periode 70 bis 240 n. Chr., ihnen folgten die Amoräer, die die Mischna kommentierten. Den Tannaim gingen die Sofrim, die Schriftgelehrten voran, beginnend mit Esra.
[12] Hilchot Jessodej Thora 6,9
[13] Hilchot Awel 14,2