Paraschat „WAJERA“ Empfehlung

18. Oktober 2021 geschrieben von   Channa Rachel Freigegeben in Wajera

ב"ה

Paraschat „WAJERA“

aus:
Belebende Parascha
Thora-Deutungen des Lubawitscher Rebben für die Gegenwart
von Rabbiner Benjamin Sufiev

DEIN WAHRES ICH

Awraham widmete sein ganzes Leben der Aufgabe, der Menschheit den Glauben an den
Einen G‘tt zu verkünden. Die Thora erzählt in unserem Wochenabschnitt davon, dass
Awraham in der Wüstenlandschaft Israels eine Gaststätte für Reisende errichtet hatte, und
nachdem jene bei ihm rasteten, aßen und tranken, erzählte er ihnen von dem Einen G‘tt,
der alles erschuf, und schlug ihnen vor, G‘tt für all die guten Speisen zu danken.

Unsere Weisen erzählen uns auch von den Gästen Awrahams (Bereschit Rabba,
Abschnitt 49:4), die es ablehnten, G‘tt zu danken. Sie behaupteten, dass es Awraham
wäre, welcher sie gastfreundlich bewirtete, und deshalb gebühre nur ihm all der Dank. Was
tat Awraham? Solchen Gästen erwiderte er: „Wenn mir aller Dank gebührt, so zahlet bitte
für die Mahlzeit.“ Er legte ihnen eine übertrieben teure Rechnung vor mit der Behauptung:
„Wer noch gibt euch Wein und Fleisch in der Wüste?“ Und als die Reisenden einsahen,
dass sie selbst ihr letztes Kleidungsstück ablegen müssten, um Awrahams Forderung
gerecht zu werden, stimmten sie zu, wohl gezwungenermaßen, G‘tt ihren Dank zu gönnen.

Aus freien Stücken?

Awraham wollte den Menschen den Glauben an den Einen G‘tt lehren, ihn aber nicht
anderen aufzwingen. Jene Reisenden wollten nicht G‘tt als Spender allen Lebens
anerkennen, und ihre Meinung änderte sich wohl auch nicht durch den Druck, welchen
Awraham auf sie ausübte. Nicht ihr Glaube an G‘tt ließ sie die wenigen Dankesworte
murmeln, sondern eher Awrahams „Religionsaufzwang“. Ist denn das der Weg, den
Glauben an den Einen G‘tt allen Menschen kundzutun?

Die Antwort ist überraschenderweise: ja! Die Erklärung dazu ist: Wir stoßen in der
Thora auf eine Geschichte, in der äußerer Druck zu einer extremen Meinungsänderung im
jüdischen Volk führte.

Als zehn der zwölf Boten üble Gerüchte über das Heilige Land unter das jüdische Volk
brachten, erzählt die Thora, wie ganz Israel sich gegen Mosche erhob und die Fähigkeit
G‘ttes, das Volk in das Land Israel zu führen, anzweifelte, sodass sie sogar die Ernennung
eines neuen Führers erzwingen wollten. Aber nachdem G‘tt über sie Seinen Zorn
ausschüttete und über das Volk die vierzigjährige Wüstenwanderung verhängte, änderte
sich auf einmal die Volksmeinung, und plötzlich kamen sie zu Mosche und versprachen:
Hier sind wir, um hinaufzuziehen zu dem Ort, von dem G‘tt gesprochen hat.“ (Bamidbar
14:40)

Der Grund für ihren Aufstand war ja ihre Kleingläubigkeit. dass G‘tt sie nicht in das
Gelobte Land bringen könnte. Sahen sie, nur weil G‘tt über sie zürnte, das Gegenteil
bewiesen, sodass sie plötzlich von der Allmacht G‘ttes überzeugt waren und blitzschnell
ihre Meinung änderten?! G‘tt zeigte ihnen doch inzwischen nicht großartige Wunder.

Egozentrik

Die Thora klärt uns hiermit über eine wesentliche Eigenschaft unserer Seele auf: Jeder
Mensch will das Richtige tun, insbesondere der Jude den Willen seines Schöpfers! Wenn
er dennoch ein fehlerhaftes Verhalten zeigt und es durch alle möglichen Argumente zu
rechtfertigen versucht, ist das einzig und allein sein „egozentrisches Ich“ (in der jüdischen
Mystik die „tiergleiche Seele“ genannt), das dabei zum Ausdruck kommt. Durch die
Abschwächung und Unterdrückung des „egozentrischen Ichs“ fallen auch alle von ihm
stammenden Ausreden und Argumente weg, und das wahre Ich des Menschen kommt zum
Vorschein (Rambam, Hilchot Geruschin, Kapitel 2, Halacha 20).

Als G‘tt über das Volk zürnte, zerschlug Er auf einmal das „egozentrische Ich“ in den
Kindern Israels, das in jenen Momenten die Oberhand über sie gewonnen hatte, und schon
waren keine Beweise für die Fähigkeit G‘ttes, sie ins Heilige Land zu führen, nötig.

Nun verstehen wir auch Awrahams Verhalten. Denn als er Reisende sah, welche so
sehr von ihrer tiergleichen Seele gelenkt wurden, dass sie kein Wort von Awrahams
Erklärung zu G‘tt einsahen, hatte er keine andere Wahl, als etwas Druck auf sie
auszuüben, um so ihre Egozentrik einzudämmen. So konnten die Worte Awrahams bei
ihnen Gehör finden, und so konnten sie G‘tt schließlich auf ehrliche Weise danken.
(Likutej Sichot, Band 15, Seite 122)