Paraschat „Schoftim“ Empfehlung

16. August 2020 geschrieben von   Channa Rachel Freigegeben in Schoftim

ב"ה

Paraschat „Schoftim“ שופטים

„Wenn du in das Land kommst, das Gʻtt dein Herr dir gibt, und du erbst es und sitzest darin
und sagst: Ich werde einen König über mich einsetzen, wie alle Völker um mich her.
Setze einen König über dich ein, den Gʻtt dein Herr erwählt, aus den Reihen deiner Brüder
setze über dich einen König ein, du wirst keinen Fremden, der nicht dein Bruder ist, über
dich einsetzen können“
(Dewarim 17: 14-15).

aus: Bina Bamikra - Gedanken zur Torah, Rabbiner B.S. Jakobson

Mit einer kurzen Bemerkung zu unserm Wochenabschnitt fasst Sʻforno den Inhalt und den
Charakter der Sidra zusammen, indem er erklärt: “Nach den Geboten, die das ganze Volk
angehen, beschäftigt sich die Torah nun mit Problemen des Regimes in Israel, mit den
Führern des Volkes, mit Königen, Richtern, Priestern und Propheten, deren
Rechtschaffenheit das moralische Klima im Lande fördert, deren Korruption aber den
moralischen Verfall der Gesellschaft herbeiführen kann.“
...In unseren Ausführungen berufen wir uns auf die Ansichten unserer Weisen und Erklärer
über ein Regime, das in ihren Augen für Israel das richtigste zu sein scheint.
In einem der frühesten politischen Traktate “Gegen Apion“ (Apologie des Judentums)
schreibt Flavius Josephus: Diese (Nationen) übergaben die Regierung in die Hände eines
einzelnen Herrschers - die Monarchie, andere vertrauten die Herrschaft einer begrenzten
Anzahl von Männern an - die Oligarchie, und wieder andere überließen die Herrschaft der
Masse des Volkes.
Unser Lehrer Mosche aber nahm keine der bestehenden Regierungsformen an, sondern
befahl uns die Regierung Gʻttes - die Theokratie. Ihm allein gebührt die Herrschaft, zu Ihm
sollen wir immer und ewig die Augen erheben, denn Er ist die Quelle alles Guten, mit dem
Er die Menschheit als Ganzes und das Individuum beschenkt...
aus: “Studien zu den wöchentlichen Torah-Vorlesungen“, Nechama Leibowitz
Wie viele andere Erklärer fragte sich auch Nachmanides, wie die Torah dazu komme, bei
einer Mitzwa, einem ausdrücklichen gʻttlichen Gebot, die Wendung „wie alle Völker um
mich“ zu gebrauchen. Schließlich sollen doch die Israeliten ausdrücklich nicht von ihnen
lernen und ihnen nacheifern.
Eine andere, schon von den talmudischen Gelehrten gestellte Frage gilt dem Verhältnis
dieser Torahstelle zu dem, was im Buch Schʻmuel I (Kap. 8) steht, wo nämlich der Richter
Schʻmuel dem Volk zürnt aufgrund dessen Wunsch, einen König über es einzusetzen.
Rabbi Yehuda fragt in der Tosefta Sanhedrin (und Maimonides schließt sich dieser
Frage in der Mischne Torah, Hilchot Melachim 1:1-2, an):
„Drei Gebote erhielt Israel bei dem Einzug ins Land: einen König einzusetzen, einen
Tempel zu bauen und Amalek zu vernichten.“
Warum also wurden sie in Schʻmuelʻs Tagen (für die Forderung nach einem König)
bestraft?
Die Tosefta liefert drei Antworten auf die Frage, was Schʻmuels bzw. Gʻttes Vorwurf
gegen das Volk war: a) Das einzige Vergehen bei diesem Wunsch war, dass sie ihn zu früh
äußerten b) Rabbi Nehorai erklärt, die Torahstelle weise in ihrem Wortlaut darauf hin, dass
es einmal zu einem Aufruhr des Volkes gegen die bisherige Herrschaftsform und der
Forderung einer Herrschaft nach dem Muster der anderen Völker kommen könnte (wie es
sich dann in der Zeit Schʻmuels manifestiert). c) Rabbi Elasar ben Rabbi Yossi nimmt bei
der Forderung zur Zeit Schʻmuels eine exegetische Differenzierung vor, die sich auf zwei
verschiedene Formulierungen dieser Forderung stützt. Einmal (Schʻmuel I 8:6) heisst es:
„Gib uns einen König, um uns zu richten.“ Das sei die Forderung der Weisen gewesen.
Doch danach habe das Volk die Forderung nach einem König wiederholt, inhaltlich gleich,
ihrem Sinn gemäss jedoch pervertiert: Und auch wir werden sein wie alle Völker“ (8:20).
Fassen wir die drei Ansätze der Tosefta kritisch zusammen. Der ersten Erklärung
zufolge ist die Forderung an sich legitim, sie wird jedoch zur Unzeit gestellt. Wäre sie nach
Schʻmuels Tod aufgekommen, als das Volk einer leitenden Persönlichkeit entbehrte, hätte
sich darin nur der Wunsch nach Erfüllung eines gʻttlichen Gebotes geäußert... Die dritte der
Erklärungen von Rabbi Elasar ben Rabbi Yossi sieht das Vergehen in der Formulierung der
Forderung, wie sie durch das Volk erhoben wird, nämlich zu sein wie alle Völker... Aber mit
dieser Art der Forderung erfüllt ja das Volk geradezu wörtlich das in der Torah
Geschriebene.
So wollen wir uns intensiver mit der zweiten der drei Antworten, der Rabbi Nehorais,
beschäftigen: Des zukünftigen Aufruhrs wegen sei der Vers in der Sidra Schoftim so
formuliert. Darüber hat Don Isaak Abarbanel in seinem Kommentar zur Torah wie auch in
seinem Kommentar zu Schʻmuel I 8 nachgedacht. Er betont, im Torahvers sei
vorweggenommen, dass das Volk die Forderung nach einem König einst nicht etwa zur
Krisenzeit erheben würde..., sondern in Zeiten der Sicherheit, also eigentlich als Rebellion
gegen die von Gʻtt eingerichtete Herrschaftsform. So sei die Einsetzung eines Königs nach
Gʻttes Wahl nicht an sich als gʻttliches Gebot zu verstehen, sondern vielmehr als gʻttliches
Entgegenkommen gegenüber einem Wunsch des Volkes. Das Volk hat keine Pflicht, einen
König einzusetzen, aber eines Tages, wenn das Volk dies von sich aus (und keineswegs
aus dem Willen, einen gʻttlichen Wunsch oder Befehl einzulösen) fordern wird, dann soll
der König einer nach Gʻttes Wahl sein...
Nicht die Forderung, sondern das Entgegenkommen Gʻttes steht hier... am Anfang.
Nun verstehen wir die Wendung „wie alle Völker um mich“. Denn hier ist nicht von einem
Gebot die Rede, das unbedingt zu erfüllen ist, vielmehr stellt sich die Torah auf die Realität
ein, dass das Volk eines Tages nicht mehr imstande sein wird, die Herrschaft Gʻttes allein
als Königtum zu akzeptieren, sondern dass es... eine konkretere Herrschaft fordern wird.
Die Mitzwa zeigt also, wie die Torah sich auf eine eigentlich negative Erscheinung im Volk
einstellt, ohne sie in der Wurzel einfach zu negieren.