Paraschat “Wajigasch“ Empfehlung

17. Dezember 2023 geschrieben von   Channa Rachel Freigegeben in Wajigasch

ב"ה

Paraschat “Wajigasch“ 

Auszug aus: 
Studien zu den wöchentlichen Torah-Vorlesungen, Nechama Leibowitz 

Als Josephs silberner Becher in Benjamins Getreidesack gefunden wird, erklärt Jehuda 
dem Joseph, dass sie ihm künftig alle Sklaven sein werden. Joseph lehnt das ab und 
besteht darauf, dass nur derjenige, bei dem der Becher gefunden worden ist, sein Sklave 
sein soll, “und ihr geht in Frieden zu eurem Vater“ (Bereschit 44:17). 

Da tritt, zu Beginn unseres Wochenabschnitts, Jehuda vor und hält seine große Rede. 
Was kann er sagen, da ja der Becher tatsächlich bei Benjamin gefunden worden ist? Alles 
hängt nun von seinen Worten ab. Sein Plädoyer (Bereschit 44:18-34) ist die längste Rede 
in Bereschit überhaupt und lässt sich in drei Teile aufteilen: 1. die Erzählung des Bisherigen
(18-29); 2. eine Schilderung dessen, was ab nun geschehen könnte (30-32); 3. ein
Vorschlag und eine Bitte (33-34).

Der erste Teil gibt nur zusammenfassend wieder, was sich seit dem ersten
Zusammentreffen des ägyptischen Fürsten mit den Brüdern abgespielt hat. Nach einer
einleitenden “Besänftigungsformel“ (44:18) sagt Jehuda: “Mein Herr fragte seine Knechte
folgendes: ʻHabt ihr einen Vater oder einen Bruder?ʻ Und wir sagten meinem Herrn: ʻWir
haben einen alten Vater und einen kleinen, im Alter geborenen Jungen, und sein Bruder ist
tot, er allein ist von seiner Mutter übrig, und sein Vater liebt ihn.ʻ Da sagtest du deinen
Knechten: ʻBringt ihn herunter zu mir, und ich werde mein Auge auf ihn legen...ʻ “ (19-21).

Was bezweckt Jehuda, indem er diese Joseph ja wohlbekannte Unterhaltung
wiederholt? Wir werden gleich sehen, dass hier in Wirklichkeit der Schrei und die
Forderungen eines Unschuldigen laut werden, der sich misshandelt fühlt, dies aber nicht
offen zu sagen wagt. Der Midrasch Tanchuma sieht schon in Jehudas Formulierung “Mein
Herr fragte seine Knechte“ den implizierten Vorwurf, der Ägypter habe sich die Brüder von
Anfang an unter einem Vorwand zu Opfern auserwählt, da Fremde aus allen möglichen
Ländern, die in Ägypten Getreide kauften, nicht ausgefragt worden sind. “Sind wir etwa“, so
führt der Midrasch Jehudas unausgesprochene Frage aus, “gekommen, um deine Tochter
zu nehmen, oder gedenkst du, unsere Schwester zu heiraten? Doch selbst dann, wir haben
dir nichts verborgen.“

Auch die Wiederholung von Josephs Befehl, den Jüngsten mitzubringen, an welchem der
Vater (das Wort “Vater“ kommt in Jehudas Rede vierzehnmal vor) besonders hängt, ist ein
stiller Vorwurf gegen die Härte und Gefühllosigkeit, die er an den Tag gelegt hat. Hinzu
kommt eine Wendung, die Jehuda von Joseph zitiert, die wir aber von Joseph nie so gehört
haben: “Ich werde meine Augen auf ihn legen“. Auch hier wieder ein versteckter Protest,
den zwei Midraschim kommentieren. In Bereschit Rabba (93:5) heißt es: “Sieht so das
ʻAugen auf ihn legenʻ aus, von dem du gesprochen hast?“, und im Midrasch Lekach Tov:
“Wir dachten, du seist ein König und stündest zu deinem Wort.“ Jehuda wiederholt in
seinem Bericht - weiterhin als versteckte Forderung - auch das Argument der Brüder,
warum Benjamin beim Vater bleiben sollte, und die kalte Reaktion des Ägypters: “Wir
vermögen nicht, dass der Junge seinen Vater verlässt, verließe er seinen Vater - so stirbt
er. Da sagtest du deinen Knechten: ʻWenn euer kleiner Bruder nicht mit euch
herunterkommt, werdet ihr mein Gesicht nicht mehr sehenʻ “ (22-23).

Dann wechselt die Szenerie des Berichtes zum Gespräch der heimgekommenen
Brüder mit dem Vater: “Da sagte unser Vater: ʻKehrt zurück, kauft uns etwas Essenʻ “... und
wir sagten: ʻWir werden nicht hinziehen. Wenn unser jüngerer Bruder mit uns geht, können
wir hinziehen, denn wir können nicht vor den Mann treten, und unser kleiner Bruder ist
nicht mit uns.ʻ Da sagte dein Diener, unser Vater zu uns: ʻIhr wusstet, dass mir meine Frau
zwei geboren hat: einer ging von mir, und ich sagte, er ist gewiss zerrissen, und ich sah ihn
nicht mehr bis heute. Und nehmt ihr auch diesen von meinem Angesicht, und es geschieht
ihm ein Unglück, dann stürzt ihr mein graues Haupt im Bösen in die Gruftʻ “ (25-29).

Wir kennen die beiden Gespräche, die Jaakow mit seinen Söhnen nach deren erster
Heimkehr und vor deren zweitem Aufbruch geführt hat, und er hat diese Worte so nicht
gesagt, hätte sie auch nie gesagt. Denn wie wird er vor den zehn Söhnen, die ihm drei
seiner Frauen geboren haben, die Mutter der beiden anderen Söhnen einfach als seine -
einzige, wirkliche, geliebte - Frau bezeichnen? Doch hier, wo Jehuda das Herz des
ägyptischen Herrn erweichen will, spricht er seinem Vater nie ausgesprochene Worte aus
dem Herzen.

Doch nun kommt Jehuda zur Hauptsache: “Und nun, wenn ich zu deinem Knecht,
meinem Vater, komme, und der Junge ist nicht bei uns - und seine Seele ist mit seiner
Seele verknüpft“ (30). Jehuda lässt den Satz mit einem Einschub enden und fährt fort: “Und
es wird sein, wenn er sieht, daß der Sohn nicht da ist - und er wird sterben! Und deine
Knechte haben das graue Haupt deines Dieners, unseres Vaters, mit Kummer in die Gruft
fahren lassen“ (31). Jehuda spricht die Folge des “Wenn“ zuerst gar nicht aus, sondern
verschiebt es durch den Einschub und ein weiteres “Wenn“. Erst als die Spannung ihren
Höhepunkt erreicht, fügt er den ergänzenden Hauptsatz nach, der im Hebräischen aus
einem einzigen Wort besteht: “wamet“ - “und er wird sterben“... Da erst kommt Jehuda zu
seinem Gegenvorschlag: “Und nun soll doch dein Diener statt des Jungen der Diener
meines Herrn sein, und der Junge steige hinauf mit seinen Brüdern“ (33). Als Zeichen der
Unterwerfung taucht das Wort “Diener“, das in der Rede Jehudas dreizehnmal vorkommt,
zweimal auf. Schließlich verliert Jehuda anscheinend alle Hemmungen und schreit aus der
Tiefe seines Herzens auf: “Denn wie steige ich zu meinem Vater hinauf, und der Junge ist
nicht mit mir, werde ich das Leid ansehen können, das meinen Vater treffen wird?!“ (34)

Zweimal taucht hier das Wort “Vater“ auf. Wie der letzte Satz Josephs “und ihr geht in
Frieden zu eurem Vater“ (17) mit diesem Wort ausklingt, so lässt auch Jehuda sein
Plädoyer mit diesem Wort enden.!

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