Paraschat “WAJIGASCH“ Empfehlung

05. Dezember 2021 geschrieben von   Channa Rachel Freigegeben in Wajigasch

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Paraschat “WAJIGASCH“

Auszug aus “Zeitlos aktuell“, Gedanken zum Wochenabschnitt, von Dr. Zwi Braun

Da vermochte Josef vor allen, die ihn umstanden, nicht an sich zu halten und er rief: Führet jedermann von
mir hinaus! Und so stand keiner dabei, als Josef sich seinen Brüdern zu erkennen gab. Und er erhob seine
Stimme mit Weinen ...“ (Bereschit 45: 1-2)

Nach Auffassung der klassischen Kommentatoren (Raschi, Bechor Schor, Ramban u.a.)
wollte Josef seine Brüder nicht vor den Ägyptern beschämen. Er will, dass seine Familie
als angesehene Gäste in Ägypten bleiben soll. Benno Jacob analysiert diesen Wendepunkt
der Josefsgeschichte:

“Binjamin, der andere Sohn derselben Mutter, das ist er selbst - ein zweiter Josef.
Haben sie einst den Ersten gehasst, weil ihn der Vater liebte und einem traurigen Schicksal
überantwortet, das ihn in die Sklaverei führte, so stellen sie sich jetzt schützend vor den
Zweiten, und ihr Wortführer will sich selber opfern und statt seiner Sklave werden - gerade
aus Liebe zum Vater. Damit sind sie allesamt seine wahren Brüder geworden und er kann
sie versöhnt umarmen. Meine Brüder suche ich - das war das Motiv für sein ganzes
Verhalten bis zu diesem Ende gewesen. Nicht Genugtuung oder Abbitte oder gar
Vergeltung und Rache hatte er erstrebt, sondern die Gewissheit, dass sie ... geprüft und
geläutert nunmehr gegen einen anderen Bruder Liebe üben würden, dass sie lieben, den
der Vater liebt.“

Nicht zum ersten Mal weint Josef. Als bei der ersten Begegnung mit seinen Brüdern in
Ägypten Reuven an die grausame Behandlung von Josef erinnert, muss dieser sich
abwenden und weint (Bereschit 42:24). Als er bei der zweiten Reise der Brüder den
Binjamin vor sich sieht, verlässt er das Zimmer und weint. Schließlich weint er nach
Jehudas Rede:

“Das heißt immer, wenn er einen Bruder wieder gefunden hat. Sonst weint er noch, da
er den Vater wieder sieht (46:29) und über dessen Leiche (50:1) und zuletzt bei den
Worten der Brüder (50:17). Er hat also nur Tränen für den Vater und die Brüder, von
solchen über eigenes Unglück hören wir nie“ (Benno Jacob).

Die inneren Schritte, die Josef mit steigender Rührung auf seine Brüder zugeht, sind
von äußeren Handlungen begleitet (Rabbi Ranon Katzoff, New York). Nach der ersten
Begegnung lässt er den Brüdern auf der Rückreise heimlich das Geld und Nahrung für
unterwegs in die Säcke legen. Beim Festmahl mit Binjamin erhalten die Brüder
Ehrengaben. Und schließlich ist es der Paro, der den neu entdeckten Brüdern des Josef
das Beste des Landes Ägypten geben will (Ber. 45:18).

Wie ein Leitwort durchzieht Josefs Weinen die letzten vier Wochenabschnitte von
Sefer Bereschit. Zu Beginn der Parascha Wajeschew kommentiert Raschi, dass es viele
Parallelen im Leben von Jaakow und Josef gibt. Auch in der Fähigkeit, seinen Gefühlen
durch Tränen Ausdruck zu verleihen, ist Josef der Sohn seines Vaters. Jaakow ist der
einzige der drei Stammväter, der weint, nämlich bei der Begegnung mit seiner zukünftigen
Frau Rachel (29:11). Und die Brüder? Vor Scham bleiben sie stumm, nur Binjamin weint
mit Josef: “Und er fiel seinem Bruder Binjamin um den Hals und weinte und Binjamin
weinte an seinem Hals“ (45:14). Im hebräischen Text steht für den Hals Binjamins die
Pluralform, “Zaware“, was im Talmud zu folgender Frage führt:

“Wieviele Hälse hatte denn Binjamin? Rabbi Elasar erwiderte: Er weinte über die zwei
Tempel, die im Gebiet Binjamins liegen werden und später zerstört werden sollten“ (Megilla
16b).

Welche Botschaft wollten uns unsere Weisen mit dieser Interpretation geben? In Schir
HaSchirim (7:5) finden wir den Ausdruck “Dein Hals ist gleich einem Turm aus Elfenbein“,
laut Midrasch eine Umschreibung für den Tempel in Jeruschalajim. Der Talmud lässt Josef
und Binjamin bei der Versöhnung nach vorausgegangenem Bruderzwist einen Blick in die
Zukunft werfen. Beide ahnen, dass einst wiederum Bruderhass dem Volk zum Verhängnis
werden wird. Die Grundlage zum Untergang des Ersten Tempels wurde bereits mit der
Spaltung des jüdischen Staates unter König Schlomos Nachfolgern in ein Nordreich
(Jerowam) und ein Südreich (Rechawam) gelegt. Der Zweite Tempel ging wegen “Sinat
Chinam“, grundlosem Hass, zugrunde. Doch für den noch zu erbauenden Dritten Tempel
haben wir Hoffnung. Als Jaakow den Binjamin auf die Reise nach Ägypten schickt, sagt er:
Und ich - wenn ich denn der Kinder beraubt bin, so bin ich der Kinder beraubt“ (Ber.
43:14). Dies deutet der Midrasch Rabba (92:3) dahingehend, dass das Volk einst des
Ersten und des Zweiten Tempels beraubt sein wird, ein drittes Mal wird es jedoch mit Gʻttes
Hilfe nicht geben!