Paraschat “WAʻERA“ Empfehlung

26. Dezember 2021 geschrieben von   Channa Rachel Freigegeben in Wa'era

ב"ה

Paraschat “WAʻERA“

Auszug aus: „Studien zu den wöchentlichen Tora-Vorlesungen“, von Nechama Leibowitz

In den beiden ersten Sätzen des Wochenabschnitts (Schmot 6:2-3) heißt es: „Und es
sprach der Herr zu Mosche und sagte ihm: Ich bin Gʻtt (J-H-W-H). Ich erschien dem
Awraham, dem Jitzchak und dem Jaakow als El Schaddai, aber unter meinem Namen Gʻtt
(J-H-W-H) wurde Ich ihnen nicht bekannt.“ Die Schwierigkeit dieses Satzes ist den
Gelehrten seit der talmudischen Zeit aufgefallen. Denn wie kann Gʻtt dem Mosche sagen,
er sei den Vätern nicht unter Seinem Namen (J-H-W-H) bekannt geworden, da doch zwei
Verse in Bereschit dem ausdrücklich widersprechen? Zum einen erschien Gʻtt dem
Awraham mit dem Namen J-H-W-H in Bereschit 15:7, zum anderen sagt Gʻtt zu Jaakow:
Ich bin Gʻtt (J-H-W-H), der Herr Awrahams deines Vaters und der Herr Jitzchaks. Das
Land, auf dem du liegst, werde Ich dir und deinen Nachkommen geben“ (Bereschit 28:13).
Wie also kann Er hier sagen, Er sei den Vätern unter diesem Namen nicht bekannt
geworden?

Obwohl verschiedene Kommentatoren - wie etwa Raschi und Nachmanides - die
Frage unterschiedlich angehen, stimmen sie darin überein, dass es hier nicht um das
Kennen des Namens, sondern eines bestimmten “Wesenszuges“ Gʻttes geht, um einen der
Aspekte, unter welchen Er sich offenbart. Der Kommentar “Akedat Jitzchak“ drückt aus,
dass Er nicht vom Benennen Gʻttes sprechen wird, sondern vom Offenbaren Seines
Geheimnisses.

Das eigentliche Wesen Gʻttes können wir nicht sehen, wir kennen Ihn nur aus Seiner
Erscheinung in der Welt, an Seinen Taten, die Er an uns vollführt - an ihnen sehen wir
Seine “Wesenszüge“, und dies sind Seine uns bekannten Namen. Das wird anhand von
Gʻttes Selbstbenennung “Ich werde sein, der Ich sein werde“ (Schmot 3:14) im Midrasch
Schmot Raba (3:6) deutlich gemacht, wo steht, bei welchen verschiedenen Gelegenheiten
Gʻtt unter welchem Namen auftritt: „Wenn Ich über die Lebewesen richte, heiße Ich
ʻElokimʻ; wenn Ich die Bösen bekriege, heiße Ich ʻZebaothʻ; wenn Ich die Vergehen des
Menschen nicht sofort bestrafe, heiße Ich ʻEl Schaddaiʻ; und wenn Ich mich Meiner Welt
erbarme, heiße Ich ʻJ-H-W-Hʻ.“ Mosche Zwi Segal hat zu Recht darauf aufmerksam
gemacht, dass der Name J-H-W-H nicht nur eine, sondern verschiedene
Erscheinungsformen Gʻttes bezeichnet. Und wenn sich auch Raschi, Nachmanides und
andere einig sind, dass Gʻtt dem Mosche nicht einen neuen Namensbegriff, sondern seine
neue Eigenschaft offenbart, gehen die Meinungen über deren Bedeutung doch
auseinander.

Raschi interpretiert diesen Namen entsprechend den Lehren des Talmud als “der,
welcher Sein Versprechen einhält“, das heißt, das den Vätern gegebene Wort einlöst. So
verstehen wir, was hier gesagt ist. Den Vätern versprach Gʻtt das Land für ihre
Nachkommen, aber die Stunde der Verwirklichung dieses Versprechens war zu ihrer Zeit
noch nicht gekommen. Entsprechend betont Raschi, dass Gʻtt nicht sagt, Er habe den
entsprechenden Namen den Vätern nicht bekanntgegeben, sondern die Formulierung, die
Gʻtt Mosche gegenüber benützt, heißt: “Ich wurde ihnen nicht bekannt“; sie, die Väter,
haben das Einlösen des Versprechens nicht erlebt. Nachmanides dagegen sieht im Namen
“J-H-W-H“ eine neue Form gʻttlichen Auftretens und Eingreifens in der Welt. Haben die
Väter, so Nachmanides, das wunderbare gʻttliche Eingreifen noch als äußerlich den
Naturgesetzen gehorchend erlebt (was gemäß Nachmanides der Namensform “El
Schaddai“ entspricht), so werden beim Auszug aus Ägypten offensichtliche Wunder
geschehen. Warum aber war es den Vätern im Gegensatz zur Generation, die aus Ägypten
auszog, nicht vergönnt, Gʻtt in jener wunderbaren, die Naturgesetze ändernden Form
handeln zu sehen, sondern immer nur in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen?
Standen sie auf einer tieferen Stufe als Mosche? Wir können darauf antworten, dass die
Väter unseren Gelehrten zufolge nie offensichtliche Wunder sahen und dennoch Gʻttes
Größe und Wahrhaftigkeit nicht anzweifelten. Der Midrasch Schmot Raba (6:4) sieht in der
Unterscheidung der Namen, in welchen sich Gʻtt dem Mosche offenbart, entsprechend eine
Zurechtweisung. Die implizierte Betonung der Treue der Väter, die trotz etlicher Probleme
und Enttäuschungen Gʻttes Zusage nie hinterfragten, steht danach im Gegensatz zur
Haltung Mosches, der schon beim Dornbusch die Frage nach Gʻttes Namen (formuliert als
Frage, die das Volk ihm selbst stellen wird) gestellt hat (Schmot 3:13). Demnach stehen die
Väter in der Vollkommenheit ihres - nicht durch die Erfüllung aller gʻttlichen Zusagen
bestätigten - Glaubens auf einer höheren Stufe als Mosche am Anfang seines
Werdegangs.

Juda Halevi hingegen betont in seinem Werk “Kusari“, dass die Wunder zur Zeit des
Mosche eine gʻttliche Maßnahme zur Überzeugung des breiten Volkes gewesen sei, das
sonst hätte zweifeln können. Die Abwesenheit offener Wunder zur Zeit der Väter und deren
Auftreten zur Zeit Mosches hat nichts mit einer Minderwertigkeit der Väter Mosches
gegenüber zu tun - vielmehr hat der Wandel der gʻttlichen Äußerungsform damit zu tun,
dass Er vom Gʻtt der Einzelnen, der Väter, zum Gʻtt der Masse, nämlich eines ganzen
Volkes, geworden ist. Deshalb ist, als Gʻtt zu Mosche spricht, die Zeit gekommen, von der
Äußerungsform des “El Schaddai“ zu der des “J-H-W-H“ überzugehen.