Paraschat ACHAREJ MOT
Belebende Parascha
Thora-Deutungen des Lubawitscher Rebben für die Gegenwart
von Rabbiner Benjamin Sufiev
(Auszug)
DER ALLERHÖCHSTE DIENST
Zur Zeit des Tempels stand zu Jom Kippur der G‘ttesdienst des Hohen Priesters im
Mittelpunkt. Dies war das einzige Mal im Jahr, an welchem der Hohe Priester in das
Allerheiligste treten durfte, um dort seinen Dienst zu verrichten. In seinem Gesetzesbuch
schreibt Rambam, dass mit Ausgang des Jom Kippur, nachdem der Hohe Priester seinen
Dienst vollendet hatte, man ihn nach Hause begleitete und jener Tag für ihn und seine
Familie ein Freudentag war, da er in Frieden aus dem Allerheiligsten getreten war
(Rambam, Hilchot Awodat Jom Kippurim, Kap. 4).
Einfach erklärt, galt für den Hohen Priester jener Tag als Freudentag, da er den
G‘ttesdienst schadlos überstanden hatte. Denn der Aufenthalt im Allerheiligsten konnte
lebensgefährlich sein. Hohe Priester, welche nicht die seelische Reinheit dafür hatten, sind
dort auf der Stelle gestorben. Deshalb, wenn der Hohe Priester unbeschadet aus dem
Heiligtum getreten war, feierte er dieses Ereignis mit seiner Familie.
Privat
Dieser Anlass zur Freude für den Hohen Priester und seine Familie ist eine private
Angelegenheit, welche mit dem Tempeldienst zu Jom Kippur an sich nichts zu tun hat. Aus
welchem Grund also erwähnt Rambam ein privates Fest des Hohen Priesters in einem
Buch, das nur Gesetze behandelt? Welches Gesetz, welche Anweisung lernt man daraus?
Die Antwort darauf liegt in der Betonung der Thora, dass ein Hoher Priester verheiratet
sein und in seinen Gebeten unbedingt auch sein „Heim“, d.h. seine Frau mit einbeziehen
muss (Mischna Joma, am Anfang). Zwar hat er sich einige Tage vor Jom Kippur von seiner
Frau zu distanzieren, um sich von den Genüssen dieser Welt abzuschirmen, doch während
des Tempeldienstes zu Jom Kippur ist er verpflichtet, an seine Frau zu denken, und gleich
am Jom Kippur-Ausgang kehrt er in sein Heim zurück.
Harmonisieren
Das sind zwei Gegensätze, die der Hohe Priester verbindet. Einerseits ist es das
allerhöchste spirituelle Erlebnis, welches der Hohe Priester erfährt, wenn er in das
Allerheiligste eintritt. Doch gleichzeitig liegt der Sinn dieses geistigen Aufstiegs nicht darin,
in einem Zustand der Absonderung vom Weltlichen zu verbleiben, sondern diese hohe
Heiligkeit in das alltägliche Leben hinein zu tragen. Denn das ist der Sinn des
Tempeldienstes zu Jom Kippur - das Spirituelle in den Alltag mit einzubinden.
Aus diesm Grund hatte der Hohe Priester beim Erreichen der höchten Heiligkeitsstufe
am Jom Kippur in sein Haus zurückzukehren, zu essen und zu trinken. Das war ein
Ausdruck dafür, dass das Geistige, wie erhaben es auch sein mag, in das Weltliche
einfließen muss.
Nun ist auch verständlich, weshalb dies Rambam in seinem Gesetzesbuch anführt.
Denn das Geistliche mit dem Weltlichen zu verbinden, ist unentbehrlicher Teil des
Tempeldienstes zu Jom Kippur und sogar sein Sinn und Zweck.
Das Gesetz für jeden
Das ist auch eine Anweisung an jeden Menschen. Das Judentum ist kein Mönchstum,
sondern bringt vielmehr das Geistliche mit dem Profanen auf eine harmonievolle Weise
zusammen. Deshalb beinhaltet jede jüdisch-religiöse Feier Essen und Trank und oft sogar
Alkohol (der Segen mit dem Kiddusch). Es besteht die Pflicht zu arbeiten, heiraten und
Kinder in die Welt zu setzen, und all dies im Einklang mit dem g‘ttlichen Gesetz. In einem
breiteren Sinn lernen wir auch aus Rambams Schilderung des Freudenfests des Hohen
Priesters am Jom Kippur-Ausgang, dass der Mensch sein geistiges Potential (Geist) in die
Tat (Materie) umzusetzen hat, d.h. es reicht nicht aus, gute Ideen zu haben, über
Anständigkeit zu sprechen und philosophisch begabt zu sein, solange all das auf der
Ebene des Geistigen bleibt. Das geistige Potential des Menschen muss praktisch seinen
Ausdruck finden, Gelerntes ist in die Tat umzusetzen.
Tatsächlich liegt darin der Sinn der Schöpfung, denn der Midrasch (Tanchuma, Naso
16) erklärt, dass G‘tt Seinen Hauptwohnsitz in dieser Welt haben will. Dies wird bewirkt,
indem man das Heilige und Spirituelle mit dem Weltlichen kombiniert, und das ist der
allerhöchste G‘ttesdienst!
(Likutej Sichot, Band 32, Seite 106)