Paraschat “BEHAR“
Belebende Parascha
Thora-Deutungen des Lubawitscher Rebben für die Gegenwart
von Rabbiner Benjamin Sufiev
(Auszug)
Der große jüdische Führer Mosche gilt als der bescheidenste Mensch auf Erden. Von all
den Besonderheiten seiner starken Persönlichkeit ist es gerade die Demut, welche ihn vor
allen Menschen auszeichnete und würdig machte, das Wort G‘ttes dem Volk Israel zu
verkünden.
Darauf stellt sich die einfache Frage: Wie, wußte der von G‘tt zum Propheten gekrönte
Mosche seine eigene Größe nicht zu schätzen, dass er sich für minderwertiger als alle
anderen Menschen hielt? Außerdem verpflichtete Mosches Aufgabe als Oberhaupt ihn
dazu, G‘ttes Volk, Stärke und Majestät zu verkörpern, aber nicht in die Rolle des
bescheidensten Menschen auf Erden zu schlüpfen!
Königliche Demut
In Wahrheit aber erkannte Mosche sehr wohl seine besonderen Fähigkeiten, seine enorme
Persönlichkeit und die Tatsache, dass gerade er auserwählt wurde, all jene wunderlichen
Taten zu vollbringen und G‘tt von Angesicht zu Angesicht zu erblicken.
Aber gleichzeitig schrieb er all diesen Ruhm nicht sich selbst zu. Der Bescheidenheit
wegen sah er in seiner Größe ein Geschenk G‘ttes, und wenn ein anderer seine seelische
Größe trüge und G‘tt ihm offenbart wäre, hätte jener sie besser genützt und wäre ein
stärkerer Führer gewesen.
Mit dieser Ansicht konnte Mosche zugleich voller Demut und gleichzeitig ein starker
Führer seines Volkes sein. Gar wegen seiner Demut und Selbstlosigkeit gegenüber G‘tt
keine eigenen Interessen vor Augen haltend, sah er in seinem ganzen Dasein nur das
Wohl des jüdischen Volkes und die Vollbringung des g‘ttlichen Willens, so dass er bereit
war, dafür mir all seinen Kräften zu kämpfen.
Warum Sinai?
Die Verbindung jener gegensätzlichen Attribute bildet auch die Vorbereitung für jeden
Juden, die Thora zu empfangen und auf sich einwirken zu lassen, denn jeder Jude hat
einen Funken von Mosche in sich (Tanja, Kapitel 42). Unser Wochenabschitt vermittelt jene
Botschaft, wie in seinem Namen angedeutet wird - “Behar“.
“Behar“ (zu Deutsch “auf dem Berg“) handelt von dem Berg Sinai, Ort der
G‘ttesoffenbarung. Dem Midrasch zufolge (Midrasch Tehilim, Psalm 68:17) stritten die
Berge Tawor und Karmel untereinander, auf welchem G‘tt Sein Wort verkünden sollte, als
G‘tt dem jüdischen Volk die Thora übergeben wollte. Sie gelten als die zwei größten Berge
in der Region. Jeder prahlte mit seiner prächtigen Größe, G‘tt aber erwählte den Berg
Sinai, den kleinsten von allen, als Demonstration für die Wichtigkeit der Bescheidenheit.
Jüdischer Stolz
Dabei ist aber eines unklar: Wenn G‘tt die Notwendigkeit der Demut zu zeigen strebte,
weshalb suchte er dafür überhaupt einen Berg und übergab die Thora nicht in einem tiefen
Tal, dem besten Symbol für die Bescheidenheit?
Die Thora allerdings fordert beides: eine Verschmelzung der Bescheidenheit einerseits
mit dem Stolz auf das Judentum andererseits. Der Jude soll jene beiden Attribute in sich
tragen - wahre Demut der Erkenntnis wegen, dass G‘tt ihm alle seine Fähigkeiten verleiht,
aber auch den Heldenmut und die eiserne Entschlossenheit, stolz hinter seiner Idendität zu
stehen.
Um die Thora zu erhalten, muss der Jude sich als erstes zu einem “Berg“ wandeln, wie
die allererste Halacha im Schulchan Aruch (jüdischer Gesetzeskodex) vorschreibt: “Man
soll sich beim Erfüllen der Thora und ihrer Mitzwot nicht vor den spottenden Menschen
schämen“ (Schulchan Aruch, Orach Chajim, am Anfang).
Deshalb kann der Jude nicht schwach und eingeschüchtert wirken. Sein Stolz, zum
auserwählten Volk zu gehören, gibt ihm die Kraft, allen Spottenden entgegenzutreten und
selbst in ihrer Gegenwart sein Judentum auszuleben. Aber jener Berg gilt als der kleinste
von allen, denn der Jude soll wahre Demut empfinden, da er einsieht, dass all sein
Verdienst g‘ttgegeben ist.
(Likutej Sichot, Band 1, Seite 276)