Paraschat NOACH Empfehlung

03. Oktober 2021 geschrieben von   Channa Rachel Freigegeben in Noach

ב"ה

Paraschat NOACH

aus: “Studien zu den wöchentlichen Tora-Vorlesungen“, von Nechama Leibowitz

Zwischen Noach und Awraham

Der erste Mensch in der biblischen Menschheitsgeschichte, von welchem über die
Namensnennung hinaus gewisse Eigenschaften geschildert werden, ist Noach, nach der
sonst alles zerstörenden Sintflut der zweite Urvater der Menschheit. Er ist Zeitgenosse
einer in Ungerechtigkeit verstrickten Welt und Augenzeuge eines Neubeginns. Dieser Mann
wird in der Tora folgendermaßen vorgestellt: “Noach war ein makelloser Gerechter in
seinen Generationen, mit dem Herrn wandelte Noach“ (Bereschit 6:9). Die Bezeichnung
“makellos“ taucht wieder in Gʻttes Worten an Awraham auf: “Wandle vor Mir und sei
makellos!“ (Bereschit 17:1). Viele haben sich schon darüber gewundert, weshalb Noach
“makellos“ genannt wird, während von Awraham erst gefordert wird, es zu werden.
Entspricht dies dem tatsächlichen Verhältnis der Größe zwischen diesen beiden
Persönlichkeiten? Die Gelehrten haben diese Frage beantwortet, indem sie Noachs
Qualitäten beträchtlich herabstuften. Laut dem Midrasch Tanchuma - und in dessen Folge
auch laut Raschi - kann der Ausdruck “in seinen Generationen“ als Herabsetzung wie als
Lob für Noach gelesen werden. Als Herabsetzung dann, wenn Noach nur im Verhältnis zu
den besonders verdorbenen Generationen, etwa der Awrahams, nicht der Erwähnung wert
gewesen wäre. Als Lob andererseits, wenn gewürdigt wird, dass er die Kraft hatte, unter
seinen Zeitgenossen ein Gerechter zu bleiben, und man annimmt, dass er in einer
anderen, besseren Generation noch höhere menschliche Qualitäten erreicht hätte.

Rabbi Mordechai Jaffe zeigt in seinem Kommentar “Lewusch haOra“ zu Raschi, dass jene, die
den Ausdruck “in seinen Generationen“ zu Noachs Herabsetzung, und jene, die es zu
seinem Lob interpretieren, letztlich Noach auf diesselbe ethische Stufe stellen, nämlich auf
die eines Gerechten mittleren Formats. Die Diskussion dreht sich nur um die potentielle
Entwicklung Noachs in anderen Zeiten. Zur Bekräftigung jener Ansicht, die Noachs
Qualitäten eher tief einschätzt, kann man Gʻttes Worte an ihn anführen, die eine Art
Wiederholung von Noachs vorhergehender Schilderung sind: “Denn dich habe Ich gesehen
als Gerechten in dieser Generation“ (Bereschit 7:1). Ein solcher Unterschied zwischen der
Formulierung der Wiederholung und der ursprünglichen Formulierung, zwischen “ein
makelloser Gerechter in seinen Generationen“ (zuerst) und bloß “als Gerechten in dieser
Generation“ (in der Wiederholung) ist in der Tora niemals ein Zufall. Auch wenn die
Gelehrten in Eruwin 18b dazu lehren: “Man spricht einem Menschen gegenüber nur einen
Teil des ihm zukommenden Lobs aus“, sahen sie in Gʻttes Rede an Noach dennoch ein
Argument zugunsten jener Ansicht, die Noachs Wert herabstuft.

Worin liegt eigentlich der tatsächliche große Unterschied zwischen Noach und
Awraham? Er manifestiert sich in dem Moment, als sie sich in einer ähnlichen Situation
befinden, als sie von Gʻtt über ein bevorstehendes Urteil unterrichtet werden, dass Er an
anderen Menschen vollziehen wird. Im “Sohar“ (zu Bereschit 18:23) werden diese beiden
Situationen miteinander konfrontiert: einerseits Awraham, der vor Gʻtt tritt, um durch den
Hinweis auf eine mögliche Anzahl Gerechter in den Städten Sodom und Gomorrha diese
vor dem Untergang zu retten, und andererseits Noach, der angesichts der ihm
angekündigten Zerstörung der Menschheit still an die Arbeit geht, um den ihm befohlenen
Bau der Arche auszuführen. Noach bürgt nicht für die Menschheit, er ist nicht
verantwortlich für die ganze Welt. Noach ist einer jener, die ihre eigenen Haut retten - “ein
makelloser Gerechter“?

Raschi sagt in seiner bündigen Sprache: “ ʻMit dem Herrn wandelte Noachʻ - und bei
Awraham heißt es: ʻDen Ich vor Mir wandeln ließʻ. Noach braucht Hilfe, um gestützt zu
werden, aber Awraham stärkte sich und ging dank seiner Gerechtigkeit selbst.“ ... Awraham
ist nicht auf Hilfe angewiesen, im Gegenteil. Welchem Bild gleicht das dessen, der vor Gʻtt
geht? “Einem Fürsten, der geht, und Edle gehen vor ihm“ (Midrasch Bereschit Rabba). Der
Ausrufer geht vor dem Fürsten und verkündet seinen Namen. Dazu passt Sar Schalom
Adulamis Kommentar zu Bileams Segensspruch “Gʻtt der Herr ist mit ihm (dem Volk Israel)
und der Schmetterton des Königs in ihm“ (Bamidbar 32:21). Adulami schreibt in seinem Buch
Messilot“ (“Pfade“): “Wir sind die Trompete, die die Fahrt des Wagens des Königs der Welt
verkündet und ausruft überall zu allen Zeiten.“ Noach wird zwar unter allen seinen
Zeitgenossen auserwählt, am Leben zu bleiben, aber Awraham wird eine Berufung, eine
besondere Rolle zuteil. Eine treffende Gegenüberstellung der beiden Charaktere finden wir
in Bubers Aufsatz “Awaham der Seher“, wo es heißt: “Noach steht an seinem Platz in der Natur,
ein aus der Flut Geretteter, ein ʻMann der Ackersʻ (Bereschit 9:20); Awraham geht als erster
einen Weg in der Geschichte, ein ʻAusrufer der Herrschaft Gʻttesʻ