Paraschat „WAJESCHEW“
aus:
Belebende Parascha
Thora-Deutungen des Lubawitscher Rebben für die Gegenwart
von Rabbiner Benjamin Sufiev
Band II
DEMUT UND ERFOLG
Während seiner Gefangenschaft in Ägypten musste Josef vieles durchmachen. Zuerst war
er ein Sklave in Potifars Haus und seine Lage verschlimmerte sich, als er zum Sträfling im
Gefängnis wurde. Doch in beiden Situationen gelang es Josef, Wohlgefallen in den Augen
seiner Vorgesetzten zu finden. Potifar ernannte ihn zum Verwalter seines Hauses und auch
im Gefängnis stellte ihn sein Vorgesetzter über alle anderen Gefangenen. Die Thora
beschreibt den Erfolg Josefs in beiden Situationen auf sehr ähnliche Weise, aber doch
unterschiedlich. In Bezug auf Potifars Haus heißt es: Alles was er tat, ließ G‘tt in seiner
Hand gelingen (Bereschit 39:3); und bezüglich des Gefängnisses heißt es: Alles was er tat,
ließ G‘tt gelingen (Bereschit 39:23).
Ein Geschenk von G‘tt
Erfolg ist ein Segen. Diesen Segen kann sich der Mensch nicht wirklich verdienen, sondern
er ist ein Geschenk von G‘tt (Talmud Moed Katan 28a). Dabei gibt es zwei Arten von Erfolg:
Es gibt Menschen, die sehr erfolgreich sind in dem, was sie tun, so dass man erkennt, dass
sie von G‘tt gesegnete Menschen sind, und deshalb ihr Erfolg so groß ist. Doch es gibt
noch eine ganz andere Art von Erfolg. Dieser ist so übernatürlich, dass man ihn
keineswegs mehr auf die Taten des Menschen beziehen kann, sondern es fällt gleich auf,
dass die Hand G‘ttes dahintersteckt.
Im Haus Potifars erhielt Josef den Segen für die erste Art des Erfolgs - „Alles was er
tat, ließ G‘tt in seiner Hand gelingen“ - alle haben gesehen, dass er in all seinem Tun
erfolgreich war. Doch im Gefängnis wurde Josef mit viel größerem Erfolg gesegnet - „Alles
was er tat, ließ G‘tt gelingen“ - sein Erfolg war nicht mehr von dieser Welt, und alle sahen
gleich, dass G‘tt dahintersteckte.
Ego-Gefühl zurückschrauben
Zu diesem übernatürlichen Segen kam Josef ausgerechnet im Gefängnis. Denn um so
einen gewaltigen g‘tllichen Segen für Erfolg empfangen zu können, muss man sein Ego-
Gefühl auf null zurückschrauben. Je mehr der Mensch sein Ego-Gefühl zurückschraubt,
desto empfänglicher wird er für den Segen G‘ttes. Und je mehr sein Ego-Gefühl ihn
aufbläht, desto weniger hat der g‘ttliche Segen bei ihm Platz.
In den Propheten heißt es: Auf solchen blicke Ich, auf den Armen und der gebeugten
Gemütes ist (Jeschajahu 66:2). G‘tt achtet ausgerechnet auf den „Armen“ und steht ihm
bei; das ist derjenige, der bescheiden und demütig ist. Als Josef im Gefängnis war, war
seine Demut viel größer als im Hause von Potifar. Deshalb erhielt er gerade im Gefängnis
den übernatürlichen Segen G‘ttes, und alle erkannten gleich, dass G‘tt mit ihm war.
Die Galut
Doch auch als Sklave in Potifars Haus, strahlte Josef den Glauben an G‘tt aus. Zu dem
Vers Und sein Herr sah, dass G‘tt mit ihm war (Bereschit 39:3) erklärt Raschi, dass Josef
stets über G‘tt redete. Und da er seinen Erfolg auf den Segen G‘ttes zurückführte,
überzeugte dies sogar Potifar, ein Götzenanbeter, dass „G‘tt mit ihm war“. Doch im
Gefängnis musste Josef nicht einmal erwähnen, dass sein überwältigender Erfolg von G‘tt
kam, weil dies so offensichtlich war.
Es stellte sich also im Nachhinein heraus, dass gerade weil Josef so viel durchmachen
musste, erst als Sklave und dann sogar als Sträfling, dies in ihm echte Demut bewirkte und
er erst dadurch des großen, g‘ttlichen Segens würdig wurde. So handelt es sich auch bei
dem jüdischen Volk: Der Frondienst in Ägypten machte es demütig und somit für den Erhalt
der Thora empfänglich. Deshalb muss auch das jüdische Volk soviel in der Galut
durchmachen, um den vollkommenen, g‘ttlichen Segen zur vollkommenen Erlösung
erhalten zu können!
(Likutej Sichot, Band 25, Seite 213)