Paraschat „Wajetze“
Bereschit 28:10-32:3
Auszug aus: Bina Bamikra, Rabbiner B. S. Jakobson
Jaakow ist gezwungen, seine Heimat zu verlassen. Er war „ein umherirrender
Aramäer“ (Dewarim 26:5) Dort, in der Fremde gründete er seine Familie, und dort wurden
ihm Söhne geboren, die Stämme G‘ttes, alle, abgesehen vom Jüngsten, der bei der
Rückkehr in die Heimat, auf heiligem Boden, geboren wurde.
Betrachten wir nun die Namen, welche den Söhnen Jaakows gegeben wurden, und
wie unsere großen Erklärer die mit der Namensgebung verbundenen Probleme gelöst
haben.
Schon in der ersten Erzählung lehrt die Torah, welch große Bedeutung die
Namensgebung in der Bibel hat. Der Schöpfer wies Adam eine materielle Aufgabe zu -
Bearbeitung und Bewachung des Gan Eden, und auch eine geistige Aufgabe wurde ihm
erteilt, wie im Wochenabschnitt Bereschit erzählt wird: “Der Ewige, G‘tt, hatte aus dem
Erdreich alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels gebildet und führte sie vor den
Menschen, um zu sehen, wie er sie nennen würde, so sollte sein Name sein. Der Mensch
nannte die Namen alles Viehes, alles Geflügels und alles Wildes. Von all den Namen, die
Adam den Geschöpfen gab, überliefert uns die Torah nur den wichtigsten: Adam nannte
den Namen seiner Frau Chawa, denn sie ward die Mutter aller Lebendigen (kol Chai) (Kap.
3:20).
Unsere Weisen s.A. schätzten wohl die Wichtigkeit des Namens und verstanden sehr
gut, dass der Charakter und die Taten des Menschen nicht immer der Bedeutung seines
Namens entsprechen. Rabbi Jossi, der Sohn Chaninas, sagt: Was das Verhältnis Name
zu Mensch anbetrifft, können wir die Träger der Namen in vier Gruppen einteilen:
1) Menschen, die schöne Namen haben, deren Träger aber hässlich sind, wie Jischmael
(er hört G‘tt), der aber nicht auf die Stimme G‘ttes hört.
2) Menschen, deren Namen hässlich sind, ihre Taten aber sind gut (schön)
- das sind die vom Exil Heimkehrenden, deren Namen im Buche Esra (Kap. 2) aufgezählt sind,
wie z.B. “die Söhne Bakbuk“ (Vers 51) (ein hässlicher Name), die trotzdem würdig befunden waren,
ins Land zu kommen und den Tempel wieder aufzubauen.
3) Menschen, deren Namen und Taten hässlich sind - das sind die Kundschafter.
Der Midrasch deutet ihre Namen in negativem Sinne. In Bamidbar 13:13 heißt es:
“Für den Stamm Ascher Setur, Sohn Michaels.“ Der Name ‘Setur‘ ähnelt
dem Wort ‘Seter‘, das Verborgene, und wird hier als unehrlich (mit versteckten Gedanken)
gedeutet.
4) Die vierte Gruppe besteht aus Menschen, “deren Namen und Taten schön
sind - die zwölf Stämme.“ Als Beispiel bringt der Midrasch die Namen Reuwen und
Schim‘on. Reuwen bedeutet demnach: “Sehet, ein Sohn unter den Söhnen“, d.h. ein
ausgezeichneter Sohn, mit den Worten der Aggada, welche von Raschi zitiert wird: “Seht
den Unterschied zwischen meinem Sohn und dem Sohn meines Schwiegervaters, der
doch die Erstgeburt Jaakow verkauft hatte, während dieser sie Josef nicht verkauft hat, und
sich doch nicht gegen ihn aufgelehnt hat. Und Schimon, dessen Namen nach dem
einfachen Sinn der Schrift nichts anderes bedeutet, als dass seine Mutter Lea G‘tt dafür
dankte, dass Er ihr Gebet erhört hatte (Schim‘on: ‘schma‘), wird vom Midrasch als ein
Zeichen für die G‘ttergebenheit Schim‘ons ausgelegt, d.h. ein Mann, der auf die Stimme
seines Vaters im Himmel hört (schomea = hört).
In unserem Wochenabschnitt befindet sich der Teil, welcher die Namen der Söhne
Jaakows und ihre Deutungen enthält, in den Kapiteln 29 und 30. Nur über die Geburt
Binjamnis wird im Wochenabschnitt Wajischlach (Kap. 35) erzählt. Das ist der Grund,
warum uns die vollständige Liste erst dort gegeben wird (Kap. 35: 23-26): “Jaakow hatte
12 Söhne. Dies sind die Söhne Jaakows, welche ihm zu Paddan Aram geboren wurden.“
Ibn Esra bemerkt dazu: “ Elf Söhne wurden ihm dort geboren, denn Binjamin wurde ja im
Lande Kenaan geboren, jedoch die Schrift gibt hier eine Tatsache an, welche die Mehrheit
der Söhne anbetrifft.“
Bevor wir an die Erklärung der Namen herangehen, müssen wir noch zwei wichtige
Fragen beantworten: Wer gab den Namen, und was die Erwähnung des G‘ttesnamens zur
Deutung des Namens veranlasste, und warum dann manchmal der HAWAJA-Namen und
manchmal der Elokim-Name gewählt wurde.
Wir können feststellen, dass es durchgehend die Mutter ist, welche den Namen gibt,
und bei dem Sohn der Magd die Herrin. Nur bei der Geburt von Binjamin fügt auch der
Vater von sich aus eine Bemerkung zur Deutung des Namens hinzu, wie es heisst: “sein
Vater aber nannte ihn Binjamin“ (Kap. 35:18). Ramban vertiefte sich in diesen Vers und
wies darauf hin, dass es sich nicht um einen neuen Namen handelt, sondern nur um eine
Umdeutung des von der Mutter gegebenen Namens (“Ben Oni“). Beide Namen sind von
demselben Wortstamm abzuleiten. Ramban schreibt also: “Die richtige Auffassung ist, dass
seine Mutter ihn Ben Oni nannte und damit sagen wollte, er sei der Sohn ihrer Trauer
(Schmerzes), aber sein Vater verstand das Wort “Oni“ im Sinne von ‘meine
Kraft‘ (Bereschit 49:3). Deshalb nannte er ihn “Binjamin“, Sohn der Kraft oder der Macht.“
Was bei der Geburt des dritten Sohnes von Lea gesagt ist, scheint der Regel des
Ramban - dass die Mütter die Namen geben - zu widersprechen, denn es heisst: “Sie ward
abermals Mutter und gebar einen Sohn, und sie sprach: ‘Nun wird sich mein Mann mir
anschließen (begleiten), denn ich habe ihm drei Söhne geboren; daher nannte e r ihn Levi“
(Kap. 29:34). Also: e r nannte... Deshalb sagt Raschbam in seiner gewohnten Kürze:
“das bedeutet, dass Jaakow ihm den Namen gab“.
Raschi sagt: “Es fällt mir auf, dass bei allen “s i e nannte“ steht und der Vers bei
diesem “e r nannte“ schreibt. Hier weicht Raschi vom Weg des “P‘schat“ ab und bringt eine
aggadische Erklärung, nach der die Bedeutung des Namens sich nicht auf die Gegenwart,
sondern auf die Zukunft bezieht: “Der Heilige, g.s.E., schickte Gabriel und ließ den Knaben
vor sich bringen, gab ihm diesen Namen und verlieh ihm die vierundzwanzig
Priesterabgaben; und weil er ihn mit Gaben (die ihn ‘begleiten‘ werden) ausstattete, nannte
Er ihn Levi (den Ausgestatteten, Begleiteten).“
Ein auffallender Unterschied besteht zwischen dem Sohn der Hagar, Saras Magd, und
den Söhnen der Mägde im Hause Jaakows. Dort bestimmt Hagar den Namen ihres
Sohnes, während hier, nachdem ihre Magd Bilha entbunden hatte, Rachel sagt: “G‘tt war
mein Richter und hat auch meine Stimme erhört und mir einen Sohn gegeben; darum
nannte sie ihn Dan (Kap. 29:6). Alle waren gleichberechtigte Söhne Jaakows, und alle
Namen der Söhne wurden am Efod und im Brustschild ... vor dem Herrn getragen. Das traf
bei Jischmael nicht zu.“
Eines der lehrreichsten Beispiele für den Gebrauch des G‘ttesnamens findet sich in
unserem Wochenabschnitt. Als Lea den ersten Sohn gebar, wandte sie den HAWAJA-
Namen an, der die Eigenschaft der Barmherzigkeit bezeichnet und sagte: “Der Ewige hat
mein Elend gesehen“ (29:32). Beim zweiten Sohn erwähnte sie die Eigenschaft der Gnade,
die auch in der Bedeutung dieses Namens liegt: “Weil der Ewige gehört, dass ich gehasst
bin, so gab Er mir auch diesen“ (29:33). Und beim vierten Sohn lobte sie G‘tt: “Diesmal will
ich dem Ewigen danken“ (29:35). Als sie ihren Söhnen Jissachar und Sewulun Namen gab,
gebrauchte sie aber den G‘ttesnamen ELOKIM, den gerechten Richter, der Seinen
Geschöpfen ihren verdienten Lohn zukommen läßt.
Zur Zeit der Geburt von Rachels eigenem Sohn erscheinen beide G‘ttesnamen: “Und
sie sprach: ELOKIM hat meine Schmach hinweggenommen!“ Und sie nannte ihn Josef,
sprechend: “Der Ewige gebe mir noch einen anderen Sohn“ (30: 23-24). Elokim, der
Richter, hatte sie von der Schmach der Kinderlosigkeit befreit, aber in ihrer Bitte um die
Gnade G‘ttes, dass Er ihrer weiter gedenken möge, erscheint wieder der Name “der
Ewige“.
Benno Jakob führt aus, dass die Namen der Söhne Jaakows in Begriffspaaren
auftreten. Reuben und Schim‘on: Sehen und Hören, die sich auf G‘tt beziehen, und infolge
derer Er Lea in ihrer Not half. Levi und Jehuda bilden ein Begriffspaar, wenn wir ihr
Verhältnis von Ursache und Folge betrachten. Nachdem der dritte Sohn geboren war,
sagte sie: „Diesmal wird mein Mann sich mir anschließen - und wahrlich schloss sich
Jaakow ihr darauf in Liebe an. Deshalb dankte sie G‘tt bei der Geburt des vierten Sohnes
und sagte: “Diesmal will ich dem Ewigen danken“ und nannte ihn Jehuda“ (29:35).
Die Namen der Söhne Bilhas, Dan und Naftali bilden das Begriffspaar Streit und
Kampf, die Namen der Söhne Silpas sind tatsächlich Synonyme, Gad und Ascher, Glück
und Heil, Jissachar und Sewulon bilden das Begriffspaar Lohn und Dank.
Die beiden letzten Namen, Josef und Binjamin, bilden kein Begriffspaar; sie wurden
nicht kurz hintereinander geboren.
Alle Namen sind nun erklärt, ... bis auf den Namen der Tochter Leas. “Darauf gebar sie
eine Tochter und nannte sie Dina“ (30:21). Die Deutung von Dinas Namen gibt uns die
Aggada entsprechend dem persönlichen Verhältnis zwischen Rachel und Lea. Raschi
zitiert einen Midrasch, der einen herzergreifenden Charakterzug Leas hervorhebt. Lea war
um die Ehre ihrer Schwester besorgt und richtete (“Din“) sich selbst. Als sie schwanger
wurde, sagte sie sich: “Wenn es ein Sohn ist ... (sie wusste, dass die Zahl der Söhne, die
dem Jaakow geboren werden würden, im ganzen zwölf ausmacht) wird meine Schwester
Rachel nicht einmal wie eine der Mägde sein; und sie betete deswegen, dass er in eine
Tochter umgewandelt werden würde.“