Paraschat “BO“ Empfehlung

02. Januar 2022 geschrieben von   Channa Rachel Freigegeben in Bo

ב"ה

Paraschat “BO“

Auszug aus: Studien zu den wöchentlichen Tora-Vorlesungen
von Nechama Leibowitz

Die Tefillin und der Auszug aus Mizrajim

Maimonides bedient sich, um die Heiligkeit der Tefillin zu zeigen, des Verses Tehilim 34,8:
Gʻtt lagert um die, die Ihn fürchten und führt sie hinaus.“ Der Mensch, als Gefangener
seiner fünf Sinne, der gerne seinen Augen folgt, ist auf eine die Sinne umfassende
Kontrolle seiner selbst angewiesen. Der Autor des Sefer HaChinuch erklärt deshalb den
Sinn der Tefillin folgendermaßen: Die Aufgabe der Seele ist es, den Menschen vor einem
reinen Nachgeben gegenüber seinen Gelüsten zu befreien. Die Seele, deren Grenze nur
durch den Körper auf der einen und den Himmel auf der anderen Seite abgesteckt sind,
weilt jedoch weit näher beim Körperlichen, und deshalb braucht es gerade dort wirksame
Wächter, um den geheiligten Charakter des geheiligten Volkes zu wahren. Deshalb werden
von Gʻtt durch die Zizit und die Tefillin Kontrollmechanismen unmittelbar am Körper
installiert, die uns an Seine Präsenz erinnern sollen. Und sogar mit ihnen versehen, sind
wir noch anfällig auf ein Nachgeben gegenüber den fast übermächtigen körperlichen
Gelüsten.

Die Frage ist jedoch auch, weshalb gerade im Zusammenhang mit dem Auszug aus
Mizrajim von den Tefillin die Rede ist. Nachmanides geht ausführlich darauf ein. Er spricht
zunächst über die göttlichen Zeichen, die einen Beweis liefern dafür, dass es einen die
Welt schaffenden und erneuernden, wissenden, die Welt beaufsichtigenden und all-
mächtigen Gʻtt gibt. Doch der Mensch vergisst, was er einmal erlebt hat, und in den ethisch
minderwertigen Generationen kommt es gar nicht zu solchen Zeichen. Deshalb braucht es
eine permanente, überlieferte Erinnerung an das, was das Volk (beim Auszug aus Mizrajim)
erlebt hat. Entsprechend wurde nicht nur ein scharfes Verbot des Chamez-Genusses am
Pesach erlassen, sondern auch das Gebot, durch die Tefillin auf unseren Händen und
zwischen unseren Augen das geschrieben zu haben, was sich damals abspielte. Schon
wer für wenig Geld eine Mesusa kauft, sie an seiner Tür anbringt und sich mit ihrem Sinn
auseinandersetzt, bezeugt dadurch Gʻttes Schöpferkraft und Allmacht sowie eigentlich alle
Einzelheiten der Tora. Deshalb wird die leichte Mizwa so wichtig wie die schwere erachtet,
denn es ist eine Sache der Hingebung und des Denkens, was den Sinn der Mizwa
ausmacht.

So können die Tefillin wie die Kristallisierung der feurigen Flüssigkeit der Wunder beim
Auszug aus Mizrajim in einer schönen Form betrachtet werden, die - zusammen mit dem
Pesach-Fest - dieses Erlebnis durch die Generationen hindurch trägt. Doch auch das
Erreichen dieser Stufe, des Weitertragens jener Befreiungstat, ist noch nicht die oberste
Stufe der Religiosität. Diese, so Nachmanides, besteht darin, nicht nur die offenbaren
Wunder wahrzunehmen. Im Gegensatz zum Sefer HaChinuch, wo den Tefillin eine negativ
definierende Rolle (Abwehrung der Triebe) zugeschrieben wird, ist es hier bei
Nachmanides also eine positive Rolle: die des Erfassens des Lebens als etwas
Wunderbarem. Rabbiner Samson Raphael Hirsch betont, die Aussage des Verses, die
Tefillin sollen “ein Zeichen auf deiner Hand“ sein, weise darauf hin, dass es ausschließlich
Gʻttes Hand war, der wir den Auszug aus Mizrajim verdanken, und das wir, deren Hände in
Mizrajim gebunden waren, einzig zum Zweck des Dienstes an Gʻtt befreit wurden.

Hinzugefügt werden kann ein Satz aus Gʻttes Trost für Sein Volk in Jeschajahu 49,16:
Auf Meine Hände habe Ich dich eingezeichnet“, wozu Rabbi Schmuel David Luzatto
erklärt, Israel sei Gʻtt dauernd gegenwärtig, wie eingraviert auf der Hand. Da wir
angehalten sind, Gʻtt nachzueifern, und nachzuahmen, können auch die Tefillin als
Nachahmung dieser “Gravur“ des Volkes auf die göttliche Hand verstanden werden. Auch
wir sollen auf der Hand und zwischen den Augen die dauernde Erinnerung an Gʻtt tragen.

Es gilt, noch einen Kommentar des Rabbi Abraham Jitzchak Kook beizufügen. Er
betont, die Erinnerung sei im intellektuellen ebenso wie im emotionalen Dasein des
Menschen zu verankern. Die Grundlage des Auszugs aus Mizrajim, so Rabbi Kook, ist die
Bekämpfung alles Rohen in der menschlichen Natur, also nicht nur eine politische und
kulturelle, sondern in erster Linie eine geistige Befreiung. Demgemäß brauchen wir für die
dauernde Bekämpfung des Absinkens in die Niederungen der menschlichen Natur der
Hand wie dem Hirn gegenüber die Zeichen, die uns daran erinnern sollen. Erst wer an
diesem Erinnerungswerk sich beteiligt, durch Tat und Gedanke, kann sich vom übermächtig
scheinenden Weltlichen befreien und in den wahren Besitz der Tora kommen. Dafür stehen
die Tefillin.